Was mich bewegt | Februra 2020
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Bruchstücke und trübe Spiegel
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Wir Frauen sind sehr kritische Wesen. Und uns selbst gegenüber sind wir mit
unserer Kritik oft am gnadenlosesten.
Niemals würden wir einem anderen Menschen Dinge sagen, wie wir sie über uns selbst oft denken. Ganz schön selbstschädigend ist das.
Wie dieses Verhalten bei so vielen von uns zustande kommt, darüber will ich heute keine Mutmaßungen anstellen und auch nicht über das mangelnde Selbstbewusstsein, das daraus spricht klagen.
Ich bin über einen sehr bekannten Bibelvers im 1. Korintherbrief „gestolpert“ und finde, er hat viel mit Selbst-Bewusstsein zu tun – und kann uns viel Mut und Kraft schenken uns endlich so zu mögen, wie wir sind.
(… Auch wenn Paulus, als er diese Zeilen schrieb, sicher anderes im Sinn hatte!)
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Einst, als ich noch ein Kind war,
da redete ich wie ein Kind,
ich fühlte und dachte wie ein Kind.
Als ich dann aber erwachsen war,
habe ich die kindlichen Vorstellungen abgelegt.
Jetzt sehen wir nur ein unklares Bild
wie in einem trüben Spiegel;
dann aber schauen wir Gott von Angesicht.
Jetzt kennen wir Gott nur unvollkommen;
dann aber werden wir Gott völlig kennen,
so wie er uns jetzt schon kennt. (1.Kor.13,11-12)
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Wann schauen wir in den Spiegel
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Am Morgen nach dem Aufstehen, nach dem Motto: „Oje, ich kenn Dich zwar nicht, aber ich wasch Dich trotzdem?“, oder nur bevor Sie aus dem Haus gehen; prüfend, ob Frisur und Kleidung richtig sitzen? Betrachten Sie ihr Spiegelbild kritisch, ob die nächste Diät oder der nächste Friseurbesuch fällig sind oder ihre Haltung auch jung und dynamisch wirkt? Schauen Sie hinein, wenn Sie eine kleine Rede für die nächste Firmenfeier oder das Gemeindefest einstudieren?
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Und wenn Sie in den Spiegel schauen, was sehen Sie da? „Was für eine blöde Frage!“ denken Sie vielleicht, aber ich bitte Sie doch, einen kleinen Augenblick darüber nachzudenken…
Sie sehen natürlich sich. Aber sehen Sie sich WIRKLICH? Mögen Sie die Person, die Ihnen da entgegenschaut. Können Sie sie mit einem Lächeln begrüßen? Oder sehen Sie nur Bruchstücke? Den Pickel am Kinn, die Falten und Fältchen um die Augen, die dünner werdende oder schon ergrauende Haarpracht, die leicht schiefe Nase, die hängenden Mundwinkel?
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In früheren Zeiten, und auch in solchen, die noch gar nicht so lange her sind, war der Blick in den Spiegel verpönt, weil man meinte, er nähre die Sünde der Eitelkeit. In manchen Gegenden verhängte man die Spiegel wenn getrauert wurde oder aus pädagogischen Gründen.
Heute gibt es kaum noch einen Narziss, der – oder die - sich in das eigene Spiegelbild verliebt. Dafür haben wir lange Mängellisten mit dem, was uns an uns selber nicht gefällt, der kritischen Begutachtung im Spiegel nicht standhält. Wir sind nicht perfekt genug, egal wie jung und schön wir sind, und dass das Alter viel beseelte Schönheit zeigen kann, davon weiß unser Spiegel scheinbar auch nichts.
So sehr wir uns auch bemühen ihn blank zu putzen, er bleibt scheinbar immer trübe, gibt immer ein leicht verzerrtes Bild wider Und wie groß er auch sein mag, und wie sehr wir uns auch vor dem Spiegel verrenken mögen, wir sehen immer nur einen Teil von uns, nur Bruchstücke, nie den ganzen Menschen. Das lässt uns manchmal auch dann an uns und unserem Selbstbild zweifeln, wenn wir eigentlich mögen, was wir sehen. Denn der Blick in den Spiegel ist eine Sache, wie aber sehen uns andere Menschen. Und: Wie sieht uns Gott? Sind wir für ihn auch nur die Summe unserer Mängel?
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Haben Sie schon einmal kleine Kinder vor einem Spiegel beobachtet? Die sind immer entzückt von ihrem Spiegelbild, sie finden es faszinierend und zum Küssen schön. Sie stören sich nicht an Speckrollen, Doppelkinn, mangelnder Lockenpracht, laufender Nase, abstehenden Ohren oder einem zahnlosen Lächeln. Es scheint, als könnten sie mehr sehen, als wäre ihr Spiegel klarer, oder als würden sie gewissermaßen durch ihn hindurch schauen: Ich bin wie ich bin und so bin gewollt und in Ordnung. So bin ich geliebt.
Das ist, wenn Sie so wollen, eine unmittelbare Art der Gottes- und Selbsterkenntnis, die wir uns öfter mal ins Gedächtnis rufen sollten. Ja, die körperlichen und charakterlichen Schönheitsfehler sind da, gewiss –. aber was soll’s? Sehen Sie mal ganz genau hin. Gehen Sie ruhig ein Stück näher, wagen sie ein Lächeln und schauen Sie, was ihnen entgegenlacht: Ist das nicht Gottes Ebenbild?
So sieht uns Gott, so erkennt er uns und nimmt uns an. Ganz und gar und restlos als sein Geschöpf und Ebenbild. Was macht es schon, wenn wir jetzt nur einen Teil von unserer und seiner Wirklichkeit sehen, wir wissen sie ist da, denn auch wenn der Spiegel nur einen Teil, Bruchstücke preisgibt, so kann er doch nur zeigen, was auch wirklich existiert Und hinter allen Spiegeln, dessen dürfen wir gewiss sein, fügen sich die Bruchstücke zu einem wunderbaren Ganzen.
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Gerti Rohrmoser
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Gerti Rohrmoser
Direktorin der EFA Österreich
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