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Was mich bewegt | Dezember 2018

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Roberta Desch

Leitungsteammitglied

der Evangelischen Frauenarbeit in Österreich

Sprachlos
 

Unsere Kommunikationsfähigkeiten sind beeindruckend und kaum jemals fehlen uns die

passenden Worte zu einem Kommentar zum Tagesgeschehen, zu Problemen der Gesellschaft

und dem ganz individuellen Dilemma der Freundin oder der Kollegin. Die deutsche Sprache offeriert zahlreiche verschiedene Begriffe für ein und dieselbe Sache und so ist es möglich, und wird auch alltäglich praktiziert, um ein Thema endlos herumzureden, es in Grund und Boden zu diskutieren und schließlich
alles und jeden ins Wachkoma zu quatschen. Ich habe es oft miterlebt und nehme meine Person da selbst gar nicht davon aus – auch ich kann überall mitreden und einen witzigen Kommentar absetzen, wenn es die Situation verlangt.

Wie gut fühlt es sich an, wenn die Zuhörer über ein gelungenes Bonmot lachen, oder mir anerkennend auf die Schulter klopfen, weil ich mit einer lässig hingeworfenen Bemerkung den Nagel wieder
einmal auf den Kopf getroffen habe.

Je hohler und oberflächlicher das Gespräch desto weniger muss der Verstand eingesetzt werden und das ist doch die echte Entspannung nach einer anstrengenden und inhaltsintensiven Arbeitswoche. Der rasant ansteigende Gebrauch und Konsum diverser sozialer Medien, der ganz unbemerkt in eine klassische Sucht transformieren kann, indem der Mensch in einen Rausch an Mitteilungsbedürfnis von Banalitäten verfällt, trägt massiv zur Verödung der zwischenmenschlichen Kommunikation bei. Im Endeffekt verliert unsere Alltagssprache durch diese lieblose Anwendung ihre Diversität, die Liebenswürdigkeit und Sorgfalt in der Wortwahl - und so ganz nebenbei – geht die eigentlich jedem angeborene Korrektheit Dingen und Personen gegenüber dabei sukzessive flöten.

 

Somit driftet der Mensch schön gemütlich in einen watteweichen, luft- und sinnentleerten Raum, der alle Dinge und Personen weichgespült gleichschaltet und dies führt ohne Umweg in die Absonderung und endet in Einsamkeit, obwohl das Individuum der Spaßgesellschaft geradezu krampfhaft das Alleinsein vermeidet.

Und dann verstummt der Mensch vollständig.

Und dann sucht er das eine – das richtige – Wort - um den Anschluss an seine soziale Umgebung wiederzufinden…

Und welches Wort findet er dabei …?

 

Das WORT ist …

… der erste Begriff, den ein Baby zum Entzücken seiner Eltern am Ende der Brabbelphase deutlich verständlich ausspricht.

… das immer präsente NEIN in der Kindererziehung und das konsequent darauffolgende WARUM,

das ebenso konsequent entweder ignoriert oder mit einem ziemlich sinnfreien DARUM beantwortet wird.

 

… sehr zum Entsetzen vieler humanistisch orientierter Eltern das allererste Schimpfwort, das ihr kleiner unschuldiger Liebling bereits nach den ersten Wochen aus dem Kindergarten mit nach Hause bringt und es fortan ganz oft und lautstark wiederholt, weil die damit einhergehende Reaktion der bemühten Eltern so schön und unterhaltsam ist.

… jener Begriff, den das heranwachsende Kind in altkluger Manier seinen Eltern oder dem idolisierten Vorbild-Freund nachplappert, weil es so gut klingt und einen so unglaublich reif und erwachsen wirken lässt.

 

…die dem Pubertierenden von der ersten Liebe abfällig hingeworfene Beleidigung, die dieser eigentlich ewig andauernden Beziehung ein jähes Ende bereitet und zumindest ein gebrochenes Herz und viel Leid nach sich zieht.

… jenes, welches leicht dahin gesagt entweder auf gar kein Interesse stößt, unbeachtet, weil ungehört, im Nichts verklingt und daher eigentlich nur eine traurige Verschwendung darstellt.

… das gegenseitig versprochene JA, das den Beginn einer Ehe markiert und für die Ewigkeit halten soll und

… das hasserfüllt gezischte oder laut heraus gebrüllte AUS, das den tragischen Verlust der Liebe und die damit einhergehende Beendigung dieser Ehe einläutet.

… das in einer christlichen Kirche, in einer islamischen Moschee, in einer jüdischen Synagoge vom Prediger an eine andächtig (meistens jedenfalls!) lauschende Gemeinde adressierte Wort, das im Regelfall vorbehaltlos von den Angesprochenen geglaubt wird, nicht selten jedoch im sakralen Raum verbleibt, da verhallt und keinen Eingang in das Alltagsleben findet, konträr zur Intention des Pfarrers, des Imam, des Rabbi und - in der logisch daraus folgenden Konsequenz – Gottes.

…endlich auch das letzte, mit letzter Kraft auf dem Sterbebett gehauchte Wort, ein aufgrund dieser Tatsache für die betroffenen Hinterbliebenen zur unendlichen Wichtigkeit verherrlichtes, welches in weiterer Folge in vielen tradierten Erzählungen innerhalb der Familie kommenden Generationen weiter überliefert wird.

 

Das WORT ist mächtig

Die Macht des Wortes findet sich in geschriebener, medial vermittelter und gesprochener Form in allen Sprachen dieser Welt wieder. Es wird zu jedem Zwecke gebraucht und missbraucht.

Das Wort wird durch die Aneinanderreihung mehrerer Wörter zur Sprache und dies führt einerseits zu einem ästhetischen, durch sorgsame Wortwahl geadelten Genuss in gesprochener, gehörter und geschriebener Form oder zum sprichwörtlich gebrauchten Schlachtfeld Sprache. Für mich bedeutet Sprache beides.

Die gehaltvolle Rede zwischen den Menschen geht in meinen Augen in der mich umgebenden Konstellation von Personen, mit denen ich privat, beruflich oder im Vorbeigehen zu tun habe, mehr und mehr verloren.

Ich bin mir sicher, dass ich als Kind und auch noch im fortgeschrittenen jugendlichen Alter zur wertvollen und anerkennenden Kommunikation sowohl verbal, als auch para- und nonverbal fähig war, aber auch, dass ich diese Fähigkeit sukzessive einbüße durch meine Absicht mich zu assimilieren, wohl wissend, dass die dadurch gewonnene Anerkennung durch die anderen nur ein hohles Gebilde ist, das wiederum in mir eine frustrierende Leere zurücklässt. Dadurch entsteht in mir der ewige Kampf zwischen Gut und Böse – ich will ihn gewinnen und scheitere in Sisyphus-Manier in schöner Regelmäßigkeit daran.
Ich hole mir unausweichlich einen bildlich gesprochenen blutigen Schädel, indem ich in einem ständigen Bemühen durch die Grenzen der Sprache durchzubrechen versuche.

„Wenn nun die gebildete Sprache aus giftigen Elementen gebildet oder zur Trägerin von Giftstoffen gemacht worden ist? Worte können sein wie winzige Arsendosen, sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung da.“ (Zitat aus: „Lingua Tertii Imperii –

Die Sprache des Dritten Reiches“ von Viktor Klemperer)

Treffender kann man die Bösartigkeit, die Sucht andere im Alltag zu verletzen, kaum beschreiben.

Der Mensch versucht diesen verbalen Attacken üblicherweise auf zwei Arten zu begegnen:

  • Er zieht sich entweder verletzt, beleidigt oder tieftraurig in seinen Kokkon zurück oder

  • „The Empire strikes back“ – er lässt sich auch nur die geringste Kleinigkeit, Ungerechtigkeit sicher nicht gefallen und bemüht nun seinerseits die arsengetränkten Worte, um Gegner in ihre Schranken zu verweisen.

 

Gegner? Rückzug? Zurückschlagen?

Wieso verfalle ich bei der Beschreibung von schwieriger Alltagskommunikation in den Sprachduktus des Krieges? – „Mir graut vor mir selber“, hat schon Francois Villon festgestellt.

Mir manchmal auch vor mir – ehrlich!

Kann ich andere Menschen als gleichwertige Partner sehen? Ich versage in dieser Angelegenheit konsequent und komme zu dem Schluss, dass ich darin vielleicht niemals erfolgreich sein, sondern mich dem Idealzustand nur ungefähr annähern kann. Kann der Mensch es überhaupt erlernen, den anderen unumschränkt als gleichberechtigten Gesprächspartner zu sehen, den Freund als ein Individuum, das auf exakt der gleichen Ebene steht, oder meint Aristoteles in seiner Nikomach’schen Ethik doch einfach auf den Punkt gebracht, dass bereits das Streben nach dem Idealzustand der Weg ist, um den Menschen zum Menschen werden und reifen zu lassen?

 

Der WEG ist das Ziel

Das Streben nach dem Vollkommenen – „Der Weg ist das Ziel“ – findet sich in unzähligen philosophischen und moralischen Anschauungen der Menschheit wieder. Auch bei meinen Anstrengungen, meine Rede gehaltvoll zu führen, die Mitglieder meiner Familie und meine Freunde angemessen zu schätzen –
befinde ich mich metaphorisch gesprochen auf einer äußerst holprigen Straße, die eventuell in die Sprachlosigkeit führt. Ich hole mir beim Stolpern viele Blessuren und manchmal falle ich sogar – und das anschließende Aufrappeln fällt mir schwer, aber …

…ich gehe trotz dieser Unbill unbeirrt weiter und dabei fällt mir auf, dass das Leben im Alltag durch den besonnenen Umgang im Gebrauch mit Worten und die behutsame Verwendung der machtvollen Sprache genau dieses, mein kleines mir aber so wichtiges Leben erleichtert. Leicht angeschlagen entgehe ich fröhlich dem drohenden Verlust der Sprache.

Und das tröstet mich ungemein.

Roberta Desch

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