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Be-denkliche Frauenpolitik

Liebe Leserin,

Im Dezember feiert das Frauenwahlrecht in Österreich seinen 100. Geburtstag. Das ist – speziell für eine Frauenorganisation – eine gute Gelegenheit sich nicht nur zu freuen, sondern auch einen Blick darauf zu werfen, was sich für die Frauen in diesem Land seit damals verändert und verbessert hat – oder auch nicht. Ein Be-denk-Jahr.

Viel wurde tatsächlich erreicht, was die Situation der Frauen verbessert hat. Und noch mehr steht auf geduldigem Papier, wird in der Praxis aber wenig bis gar nicht beachtet. Wie sonst ließe sich z.B. der „gender pay gap“ von über 20% zum Nachteil der Frauen erklären – und das immerhin 25 Jahre nach Inkrafttreten des Gleichbehandlungsgesetzes?

Will „gut Ding“ wirklich Weile haben?

Natürlich lässt sich beinahe bei jedem gesellschaftspolitischen Thema trefflich damit argumentieren, dass die Veränderung von Strukturen, die über Jahrhunderte gewachsen und „zementiert“ sind, nur langsam vorangeht ….. Das stimmt schon, aber wenn man sich anschaut, wie schnell sich unsere Gesellschaft in den letzten 30 oder 40 Jahren gewandelt  hat, und wie sehr die Frauenpolitik nachhinkt, wirft es doch ein bezeichnendes Licht auf den politischen Willen, den man für diese Belange aufbringt.

Frauenpolitische Themen schaffen es selten in die Schlagzeilen. Meist sind sie nur eine kurze Nachricht, ein paar Zeilen wert – dabei betreffen diese Themen immerhin die Hälfte der Bevölkerung.

Für die derzeitige Regierung ist Frauenpolitik nicht einmal mehr wirklich ein eigenständiges Ressort, sondern wurde dem Kanzleramt unterstellt. Dabei dachte ich, die Zeiten eines Herrn Frauenministers sind überwunden. Ganz so krass ist es ja auch nicht, immerhin gibt es eine zuständige Ministerin, auch wenn man sich manchmal die Frage stellen muss, ob die verstanden hat, wen sie eigentlich vertritt!

 

 

Wer sich darauf verlässt, ist tatsächlich verlassen!

Ohne die Kompetenzen und Meriten von Frau Bogner-Strauß infrage stellen zu wollen, muss es einen doch wunder nehmen, dass eine Frauenministerin sagt, sie distanziert sich von den Anliegen des Frauenvolksbegehrens, weil die darin gestellten Forderungen zu weitreichend sind. Ah ja?! Nun, Frau Bogner-Strauß kommt aus einem ehr technischen Beruf, sie war Professorin für Biochemie und musste sich dort zweifellos gegen viele Männer behaupten. In die Politik ist sie 2017 eingestiegen, ihre Karriere kann also durchaus als steil bezeichnet werden, wenn man bedenkt, dass sie im November 2017 Abgeordnete zum Nationalrat wurde und bereits ein paar Wochen später Ministerin.  Dass sie sich jemals intensiver mit der Situation von Frauen auseinander gesetzt hätte, die weniger gut gebildet und privilegiert sind wie sie, darüber habe ich in keinem ihrer öffentlich einsehbaren Lebensläufe ein Wort gefunden. Dass sie jede frauenpolitisch fragwürdige Entscheidung der Regierung mitträgt und uns dann ähnlich wie ihre Kollegin aus dem Sozial-Ressort, als für Frauen vorteilhaft zu verkaufen sucht, finde ich von ihrem Standpunkt aus verständlich, aber persönlich sehr ärgerlich.

Fakt ist, wenn man das Regierungsprogramm von ExpertInnen analysieren lässt, dann wird die Umsetzung dieses Programms die Frauen eindeutig auf der Verliererseite einreihen. Gelder für Frauenberatungseinrichtungen und Gewaltschutzprogramme für Frauen wurden bereits drastisch gekürzt. 511.000 Frauen ab 20 Jahren sind in Österreich armutsgefährdet. Sie sind von Armut stärker betroffen als Männer, insbesondere wenn es um Altersarmut geht: 70% der armutsgefährdeten Menschen über 65 sind Frauen! Und auch wenn Frauen noch im Erwerbsleben stehen, trifft sie und ihr Umfeld Armut häufiger: 22% der Haushalte mit einer weiblichen Hauptverdienerin sind davon betroffen – doppelt so viele wie bei einem männlichen Hauptverdiener. Mir sind diese vielen Frauen nicht wurscht!

Keine Freiheit ohne Verantwortung

Da nehme ich meinen Glauben sehr ernst! Wenn wir uns bekennen zu einem menschenfreundlichen Gott, der immer, immer sich auf die Seite der Rechtlosen stellt und für die Schwachen Partei ergreift, dann können wir nicht darüber hinwegsehen, dass Frauen immer noch zu dieser Gruppe gehören. Freilich jammern wir in Österreich diesbezüglich auf hohem Niveau, das ist mir bewusst. Anderswo in der Welt geht es den Frauen viel schlechter und auch das kann mich nicht kalt lassen. Gott hat das gute Leben  ALLEN zugesagt- Und ALLEN heißt AUCH den Frauen und auch allen Menschen in den Ländern des Südens. –

Nicht umsonst ist eines der 17  nachhaltigen Entwicklungsziele, auf die die UN ihre Mitgliedsstaaten verpflichtet hat und die bis 2030 umgesetzt werden sollen, jenes, das die Gleichstellung der Geschlechter fordert.

 

Aufstand aus Anstand

Wir Frauen und speziell wir Kirchen-Frauen – sind extrem darauf trainiert bescheiden zu sein. Wir geben unser Bestes und verlangen dafür wenig bis gar nichts. Ich denke um für alle (auch für die Männer, die wir uns nicht abgewöhnen können immer mitzubedenken) an einer im biblischen Sinn gerechten Welt zu bauen, müssen wir jetzt einmal die Bescheidenheit ablegen. Wir werden weiter unser Bestes geben, aber massiv einfordern, was uns dafür zusteht. Wir tun das in Freiheit und Verantwortung AUCH für die, die sich selbst nicht helfen können.

Wir dürfen die Frauenpolitik nicht den Parteien überlassen, denn sie ist keine abstrakte Sache. Sie hat immer mit uns zu tun. Mit dir und mit mir! Schlechte Frauenpolitik – egal aus welchem parteipolitischen Eck sie kommt, schadet letztendlich der Gesellschaft insgesamt und damit der Welt, die Gott uns anvertraut hat.

Gerti Rohrmoser

Direktorin der Evangelischen Frauenarbeit in Österreich

Was mich bewegt, Oktober 2018

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